top of page
20220522_144619_edited.jpg

Blog

Tourenberichte, Gedanken und anderes sentimentales Gefasel

Wir werden dann mal Wanderführer


Es gibt Dinge, die man sich vor einigen Jahren noch nicht vorstellen konnte, die aber rückblickend fast schon die einzig logische Konsequenz zu sein scheinen. So ähnlich verhält es sich mit unserem Plan, die Ausbildung zum Wanderleiter beim Deutschen Alpenverein zu absolvieren. Warum macht man so was, nachdem man Wandern mit der Familie total öde fand, in der Schulzeit den Freundeskreis um die Urlaube am Meer beneidete und nach dem Studium seine Erfüllung vor einem Bildschirm fand?

Vielleicht genau deswegen.

Irgendwie haben wir beide eben durch diese total langweiligen Wander- oder Bergurlaube eine Perspektive einnehmen können, die wir im Lebensalltag der Stadt einfach nicht mehr haben. Weil es sie einfach nicht gibt.

Das ist zum einen wörtlich zu nehmen als auch übertragend zu verstehen. Denn zum einen schauen wir hier maximal 20 Meter weit und sehen in der Regel die Häuserfront auf der anderen Straßenseite. Das ist eher semi-aufregend. Zum anderen leben die Menschen in den Alpen mit der Natur und nicht neben ihr. Sie sind ihrer Umwelt viel stärker ausgesetzt als wir am Niederrhein und vor allem sieht man ihre Veränderungen viel deutlicher. Der Rhein fließt in dem Bett, das man ihm geschaffen hat. Alte und versumpfte Rheinschleifen zeigen aber, dass er mal anders verlaufen sein muss. Überhaupt floss der Rhein bei uns nicht als ein Strom, sondern als verästeltes System. Auch das ist etwas, was man für gewöhnlich nicht weiß, denn man setzt sich damit nicht auseinander.


Wenn es für uns in Düsseldorf maximal zu der Erkenntnis reicht, dass die Amberbäume am Straßenrand in diesem Herbst wieder besonders schön aussehen, während der künstlich geschaffene Grünstreifen in diesem Sommer mal wieder besonders trocken war, dann zeigt das, wie beschränkt unser Blick ist. Und wenn der Grünstreifen komplett vertrocknet und die Amberbäume verschwinden, dann ändert das rein gar nichts am Stadtbild. Wir nehmen es vielleicht wahr, aber verändert unseren Lebensraum kein bisschen.

Das ist nichts, was einem plötzlich bewusst wird, sondern ist eher ein Prozess. Bei uns setzte dieser ein, als wir anfingen, gemeinsam laufen zu gehen und neue Strecken auch in eher unwegsamem Gelände auszuprobieren. Mit Sicherheit spielt auch eine Rolle, dass Manuel 8 Jahre lang Gruppen durch einen Zoo führte und Katrin lange minderjährige Flüchtlinge dabei unterstützt hat, ihr Leben in Deutschland zu organisieren.

Irgendwann schleicht sich der Gedanke ein, dass viele Menschen nur sehr wenig über die Zusammenhänge seiner Umwelt weiß. Kinder wundern sich, warum Raubtiere im Zoo nicht einfach Hackfleisch bekommen (weil man das im Supermarkt bekommt und dafür kein Tier sterben muss - das zumindest die Logik dahinter), Erwachsene belächeln die Bestrebungen der jungen Generation zum Thema Klimaschutz, weil diese doch erst mal die Schule abschließen sollten, bevor sie sich einmischen. Und vieles, was wir in Deutschland als selbstverständlich hinnehmen oder vielleicht auch gar nicht mehr wahrnehmen, ist für Außenstehende aufregend, beängstigend, herausfordernd - vielleicht aber auch schön.

Das sind Dinge, die zeigen, dass wir innerhalb unserer eigenen Lebenswelt komplett den Sinn für alles drumherum verloren haben. Glücklicherweise scheint sich allgemein der Trend zu einem bewussteren Umgang mit der Umwelt durchzusetzen. Gleichzeitig lässt sich das für viele aber schwer konkret umsetzen, selbst wenn man es ernst meint.

"Kommt! Wir gehen ins Museum!"

"Na? Heute mal Bock auf eine interessante Dokumentation?"

"So Freunde! Auf geht's zu diesem zweistündigen wissenschaftlichen Vortrag!"

Inbesondere Kinder lieben solche Veranstaltungen ja. Weiß jeder.


Es muss also darum gehen, das Erlebnis zu fördern. Und hier geht es nicht um eine Achterbahn auf dem Matterhorn, sondern darum, die vermeintlich trockene Theorie in handliche Häppchen zu verpacken. Das geht am besten, wenn man zeigen kann, worüber man schwafelt. Das Schöne ist ja, dass sich vieles von selbst ergibt, wenn man draußen unterwegs ist.

Vielleicht ist ein Problem, dass die Berge vor allem in den vergangenen Jahren zur Kulisse verkommen sind. Es gibt Hotspots, an denen tausendfach identische Fotos entstehen. Dieselbe immergleiche Perspektive. Das "Ich war hier" im Zeitalter der Digitalisierung. Für uns war immer schon viel interessanter, wie es abseits dieser Blickwinkel aussieht.


Die Seiseralm, wie man sie von zahlreichen Fotos kennt

Ebenfalls auf der Seiser Alm, aber abseits der üblichen Foto-Hotspots - gefaltete Gesteinsschichten

Vor allem unsere Mehrtagestour 2019 hat uns gezeigt, dass man beispielsweise eine Felswand komplett anders wahrnimmt, wenn man sich in ihr befindet. Die Galtenscharte im Virgental ist sowohl von oben als auch von unten betrachtet eine Herausforderung der Kategorie "Ok, wie kommen/kamen wir da runter?!".

Und jetzt kommt eine ganz simple Weisheit, die den Namen gar nicht verdient hat, weil es so offensichtlich ist: Es geht darum, Teilaufgaben zu lösen. Ein unüberwindbares Hindernis besteht aus vielen kleinen überwindbaren Hindernissen. Um das zu erkennen, muss man zunächst hineinzoomen.

Das gilt auch für Erlebnisse im Allgemeinen. Und am Ende zoomt man wieder raus und stellt fest, dass es innerhalb eines von weitem betrachtet unspektakulären Waldes am Berghang unzählige kleine Abenteuer gab. Das kann dazu führen, dass man schnöde Wälder im allgemeinen plötzlich ganz anders einordnet, dass ein Berg plötzlich ein Ort für unzählige Entdeckungen sein kann, dass die Umwelt eben mehr als nur Fotomotiv ist.

Das ist etwas, das auch wir erst wiederentdecken mussten. Und natürlich schwingt bei all diesen Aspekten auch die Frage mit: Welche Spuren werden wir am Ende unseres Lebens hinterlassen haben? Dabei geht es eher um die Bedeutung unseres Handelns und nicht darum, dass unsere Namen auf einem Altar stehen. Entwicklungen aufzeigen, Aha-Effekte auslösen.


Das Schlatenkees 2018

Das Schlatenkees 2019

Wir möchten diesen Moment des Rein-Zoomens bieten. Nicht als Frontalbeschallung, sondern indem wir das Besondere im Gewöhnlichen aufzeigen - die Tierwelt, Pflanzen, verschiedene Landschaften im Gebirge, Gletscher, Gesteinsschichten, Wetterphänomene.

Und wenn wir dazu beitragen können, dass sich Stadtmenschen fragen, warum zur Hölle überall in den Alpen Muscheln rumliegen oder das überhaupt wahrnehmen, ist doch schon viel erreicht.

Davon mal abgesehen sind wir einfach gerne in den Bergen unterwegs. Wäre doch abgefahren, wenn wir das eines Tages mal beruflich tun dürfen.

Comments


bottom of page