Johannishütte über die Kreuzspitze und Zopetscharte zur Eisseehütte
Es ist verrückt. Wir schreiben die Berichte dieser Mehrtagestour gut drei Jahre, nachdem wir sie unternommen hatten, und können uns an sehr vieles erinnern. Außer ans Frühstück, das wir nie auf Fotos festgehalten haben. Das würde die Sache etwas vereinfachen.
Da wir ansonsten sehr viele Fotos machen und die glücklicherweise einen digitalen Zeitstempel enthalten, können wir mit 100%iger Sicherheit sagen, dass wir um Punkt 7 Uhr wach sind, das erste mal aus dem Fenster schauen. Keine Spur mehr vom Regen des Vortages.
Weil wir also schlechte Influencer sind und demnach unser Frühstück nicht fotografiert haben, befindet sich zwischen 7 Uhr und 8 Uhr eine Erinnerungslücke. Zu dem Zeitpunkt machen wir uns fertig und ziehen uns die glücklicherweise weitgehend getrockneten Klamotten des Vortages an. Die Kleidung, die den Regen nicht trocken überstanden hat und heute noch klamm ist, hängen wir außen an unsere Rucksäcke, damit sie auf der kommenden Etappe trocknen kann.
Um etwa 8:15 Uhr verlassen wir die Johannishütte. Weil das Tal noch weitgehend im Schatten liegt, ist es frisch. Während einige Hüttengäste dem breiten Fahrweg, der zur Hütte führt und dort endet, talabwärts folgen, wählen andere den dann beginnenden Steig bergauf, über den man nach einigen Stunden zum Defreggerhaus gelangt.
Für uns geht es zunächst noch flach vorbei an grasenden Kühen, dann schnell steiler werdend den Venediger Höhenweg die schattige nach Westen gewandte Seite des Dorfertals hinauf, bis wir irgendwann endlich die warme Sonne erreichen.
Trotzdem ist es hier oben noch ziemlich frisch. Hier und da finden wir noch gefrorene Pfützen, die die Sonne noch nicht erreicht hat. Unsere Solar-Powerbank, die wir während der Nacht für das Laden unserer Smartphones und Uhren genutzt haben, bekommt aber nun endlich Gelegenheit, ihre Akkus aufzuladen.
Wie schon bei unserer Vortages-Etappe, bei der wir Bekanntschaft mit einem Pferd machten, werden wir auch heute von einer wilden Bestie heimgesucht. Es handelt sich um eine Kuh, die weit abseits des Weges steht. Auch diese Situation überleben wir.
Zwischendurch haben wir immer wieder gute Sicht auf den komplett wolkenfreien Großvenediger, auf dessen Gipfel wir in wenigen Tagen stehen würden. Hier merkt man, welche Strecke noch vor uns liegt. Denn wir werden ihn nicht von dieser Seite besteigen, sondern von der Neuen Prager Hütte, die von hier aus gesehen hinter dem Großvenediger liegt.
Anderhalb Stunden nach dem Start der Etappe befinden wir uns etwa auf der Höhe des Türmljochs, das wir gestern nur bei Regen erleben konnten. Ziemlich unscheinbar wirkt das Türml beim Blick zurück vor der Kulisse der Simonyspitzen und Maurerkeesköpfe.
Schließlich erreichen wir wieder etwas flacheres Gelände, wo wir im Gestein einige Granate finden. Ein Hinweis darauf, dass die Alpen eine bewegte Geschichte hinter sich haben, denn Granate entstehen in Gesteinsschichten, die hohem Druck ausgesetzt sind und dadurch ihren Zustand verändern.
Das ist in der Regel in den Bereichen mehrere Kilometer unter unseren Füßen der Fall. Was wir heute also an der Oberfläche finden, war mal einige Etagen weiter unten und wurde durch die Bewegung der Erdplatten im Laufe der Jahrmillionen nach oben geschoben. Aus demselben Grund befinden sich in den Alpen zahlreiche Fundstellen für Meeresfossilien. Ein Teil des Materials, aus dem sich die Alpen geformt haben, stammt vom Boden eines Meeres, das sich hier mal befand.
Nun haben Steine im Allgemeinen die Charaktereigenschaft, recht schwer zu sein, weshalb wir uns aus Rücksicht auf unsere Schultern dazu entscheiden, unsere Fundstücke nicht mitzunehmen.
Mit also weiterhin "nur" 14 und 12 kg Gepäck folgen wir dem Venedigerhöhenweg noch ein paar Minuten und halten uns schließlich rechts, um zunächst ein paar Meter in eine Senke abzusteigen. Von dort führt der Steig über Schutt und Blockwerk unterhalb der Wand vom Schernerskopf aufwärts, bis wir wieder eine flachere Passage und eine Weggabelung erreichen.
Wir halten uns rechts und steigen die Nordflanke der Kreuzspitze hinauf. Die alternative Route würde zu einem Klettersteig führen, der auf dem Grat unterhalb der Tulpspitze entweder zu dieser oder hinauf zur Kreuzspitze verläuft. Später werden wir feststellen, dass die Seilversicherungen alles andere als intakt und teilweise verschüttet sind.
Also eine gute Entscheidung, dem Normalweg zu folgen, der trotzdem einige kleine Herausforderungen bereithält. Denn aufgrund der Routenführung nördlich der Kreuzspitze und der Höhenlage von mittlerweile knapp 3.000 m ist das Gelände, das aus feinem Schutt besteht, stellenweise vereist. An einigen Passagen fließt Wasser aus dem Hang über den Weg, sodass wir hier besonders vorsichtig sein müssen. Durch die Hangneigung würde ein Sturz an dieser Stelle erst gute 200 m weiter unten enden.
Weil die Sonne den Boden langsam aufwärmt, hören wir es überall rieseln, weil sich der Schutt an manchen Stellen in Bewegung setzt. Der Steig selbst ist relativ fest, aber sehr schmal, weshalb ein Schritt neben den Weg auf schon etwas aufgeweichten Boden vermutlich ebenfalls zu einer Rutschpartie führen würde.
Wir erreichen schließlich ein Plateau ca. 100 m unterhalb des Gipfels, das wir hier nicht vermutet hätten und das etwas surreal wirkt, weil es durch den feinen Schutt aussieht wie asphaltiert.
Wir halten uns links und beginnen die letzten 100 m Aufstieg zum Gipfel der Kreuzspitze. Die letzten Meter entlang des Grats schauen wir rechts von uns hinunter ins Sajatkar und können die Sajathütte erkennen. Nach den vereisten Stellen zuvor bereitet uns dieser Abschnitt keine Probleme mehr und wir erreichen gegen 12 Uhr den Gipfel. Von hier aus haben wir eine herrliche Rundumsicht auf die Gipfel der Region. Großglockner, Großvenediger, Lasörling, Weißspitze und in der Ferne sogar die Dolomiten. Das Wetter spielt perfekt mit.
Nachdem wir uns etwas gestärkt und ins Gipfelbuch eingetragen haben, bekommt Katrin mit dem Dialog
"Willst du noch was aus dem Rucksack?" "Nein." "Willst du denn den hier?"
noch fix einen Verlobungsring an die rechte Hand geschraubt und wir machen uns an den Abstieg. Hätte sie "Nein" gesagt, wären das ziemlich lange kommende Tage geworden.
Mit einem letzten Blick auf die Eisseehütte - unseren Zielpunkt der heutigen Etappe - und dem Eissee unserem erstem Zwischenziel der morgigen Tour - steigen wir über die Aufstiegsroute wieder ab.
Wir kehren an die Stelle zurück, an der wir den Venedigerhöhenweg vor ein paar Stunden in Richtung Kreuzspitze verlassen haben, und folgen diesem nun weiter taleinwärts, bis wir die zwischen Zopet- und Tulpspitze gelegene Zopetscharte auf 2.980 m erreichen. Es folgt ein recht steiler und teilweise seilversicherter Abstieg, bevor wir kurze Zeit später wieder über einen normalen Steig absteigen, der uns vorbei an Steinböcken führt, die im steilen Gelände unterwegs sind.
Wenig später queren wir eine Schneise, in der offenbar des Öfteren Muren mit hellem Gestein nördlich der Zopetscharte abgehen. Gegenüber sehen wir etwa auf gleicher Höhe die Eisseehütte am Hang.
Allmählich wird das Gelände etwas flacher und grüner und nach einigen Minuten erreichen wir den Timmelbach, den wir über eine behelfsmäßige Brücke überqueren. Von hier aus führt ein leichter Weg parallel zum Hang die wenigen Höhenmeter hinauf zur Eisseehütte.
Wir beziehen unser Zimmer, das mehrere Stockbetten beinhaltet und einen absolut einmaligen Ausblick hinab ins Timmeltal bietet, an dessen Ende die Steilstufe abwärts ins Virgental folgt. Den restlichen Nachmittag verbringen wir bei strahlendem Sonnenschein, Apfelstrudel und Radler auf der Terrasse der Eisseehütte, wo wir die Aussicht genießen und recht bald angenehm gerötet sind. Den Sonnenbrand werden wir am Folgetag verfeinern.
Abends gibt es Spaghetti Bolognese, was nach diesem Tag genau das Richtige ist. Am Tisch neben uns bespricht ein Bergführer mit seiner Gruppe die Tour des kommenden Tages, was später mit ein paar Schnäpsen besiegelt wird. Als die Sonne langsam hinter den Bergen verschwindet und das Timmeltal dadurch immer schattiger wird, leert sich die Gaststube. Auch wir gehen hinauf in die erste Etage, machen uns fertig fürs Bett und sind bald eingeschlafen.
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