Das schon mal vorab: Eine Hüttentour ist keine Pauschalreise. Es gibt keine buchbaren Pakete, die verschiedene Tagesetappen kombinieren, und wirklich komfortabel ist sie auch nicht. Es ist eine ganz rudimentäre Form des Unterwegsseins. Du organisierst und planst, wann du wo übernachtest. Du gehst los, du kommst an. Es gibt keinen Reiseveranstalter. Wie cool ist das denn?!
Wenn man mal so drüber nachdenkt, ist es das genaue Gegenteil einer Kreuzfahrt. Und für uns war es einiges der schönsten Erlebnisse.
Im Frühjahr 2018 waren wir das erste mal gemeinsam im Virgental und uns war relativ schnell nach dem Urlaub klar, dass wir bald hierhin zurückkehren würden. Das lag zum einen daran, dass damals Ende Mai/Anfang Juni 2018 noch viele Hütten geschlossen waren und aufgrund zahlreicher Lawinenabgänge des vorangegangenen Winters nur wenige Touren machbar waren, und zum anderen hatten wir Blut geleckt, nachdem wir immerhin zwei Hütten hatten erreichen können.
Also ging es relativ schnell an die Planung. Und die begann zunächst mit dem Smartphone.
Die Etappenplanung - wo fängt man an?
Wir benutzen für Bergtouren in der Regel die Apps bergfex/Touren und Alpenvereinaktiv. Neben Tourenberichten anderer Portale sind das hilfreiche Tools, um einen ersten Eindruck über verschiedene Routen in der entsprechenden Region zu bekommen. Zusätzlich haben wir uns die Alpenvereinskarte der Venedigergruppe besorgt. Die war bei der Planung tatsächlich eher "nur" Unterstützung, aber spätestens auf der Tour hätten wir sie gebraucht.
Tatsächlich war als Fundament unserer Route schnell der sogenannte Adlerweg im Virgental ausgemacht, auf dem wir letztlich einen Großteil unserer Tour unterwegs sein sollten. Trotz der eher wenig frequentierten Situation des hinteren Virgentals und der hohen Lage vieler Hütten und Steige ist das Wegnetz sehr gut und die Erreichbarkeit der Hütten ideal für sinnvolle Tagesetappen. Immer vor dem Hintergrund, dass wir vorhatten, den einen oder anderen Gipfel zu besteigen. Deshalb haben wir bei allen Ambitionen immer darauf geachtet, nicht zuviele Herausforderungen in eine Etappe zu stecken und Abstecher zu Gipfeln entlang der Route als Optionen zu betrachten. Die Tour an sich ist Erlebnis und Erfahrung genug und das muss man zu schätzen wissen. Deshalb war uns klar, dass wir beim leisesten Anflug eines Zweifels vor Ort immer im Sinne der Sicherheit und uns für die einfachere Wegvariante entschieden hätten. Bei vielen Wegen handelt es sich um Steige mit vielleicht 30cm Breite. Je nach Ausgesetztheit reicht das an Nervenkitzel.
Und so entstand nach und nach unter Berücksichtigung der Wegarten unsere Route, die schließlich folgende Etappen beinhaltete:
Etappe 1: Ströden über Essener-Rostocker-Hütte und Türmljoch zur Johannishütte
Etappe 2: Johannishütte über Kreuzspitze und Zopetscharte zur Eisseehütte
Etappe 3: Eissseehütte über Eissee durchs Timmeltal über den Eselsrücken zur Bonn-Matreier-Hütte
Etappe 4: Bonn-Matreier-Hütte über die Galtenscharte zur Badener Hütte
Etappe 5: Badener Hütte übers Löbbentörl zur Neuen Prager Hütte
Etappe 6: Neue Prager Hütte mit Venedigerüberschreitung zum Defreggerhaus
Etappe 7: Defreggerhaus bis Ströden
Einige seilversicherte Passagen lassen sich im Hochgebirge nicht vermeiden, sorgten bei uns aber auch nicht für Kopfzerbrechen, weil wir nach dem Urlaub 2018 damit begonnen hatten, Klettersteige zu gehen. Das wohl größte Highlight der Tour stellte die Venedigerüberschreitung dar, die wir nur mit Bergführer machen würden, weil man einen Großteil der Etappe auf dem Gletscher unterwegs ist.
Die Ausrüstung - was man braucht und was nicht
Weil die meisten Hütten erst Anfang 2019 für die Buchung der Schlafplätze erreichbar waren, haben wir uns als nächstes um die Ausrüstung gekümmert. Um es kurz zu machen: Es war das bislang einzige mal, dass wir einzelne Kleidungsstücke auf die Küchenwaage gelegt haben, um zu prüfen, wo wir Gewicht einsparen können.
Wenn klar ist, dass die schweren Bergstiefel und das Klettersteigset inklusive Helm definitiv in den Rucksack müssen, werden Wechselklamotten zum Luxus. Die Stiefel im Rucksack ließen sich für uns damals nicht vermeiden, weil diese für die auf dem Gletscher benötigten Steigeisen notwendig, für die übrige Tour allerdings zu schwer gewesen wären. Heute wäre das etwas, was wir vermutlich anders entscheiden würden. Die Dinger wiegen gut 2 kg. Die hat man im Zweifel lieber an den Füßen als auf den Schultern.
Und so saßen wir mit der Küchenwaage auf dem Wohnzimmerboden und sortierten aus. Zwei langärmlige Funktionsshirts zum Wechseln sind eines zuviel. Und schließlich schafft es nur das 30 g leichtere in den Rucksack. Am Ende geht es in erster Linie darum zu entscheiden, was unter gar keinen Umständen fehlen darf. Das führte dazu, dass der einzige Luxus, den wir uns auf der Tour erlaubt haben, eine solarbetriebene Powerbar war. Allerdings stand hier der pragmatische Gedanke eher im Vordergrund:
Energie ist auf Berghütten nicht unbegrenzt verfügbar und wir wollten nicht diejenigen sein, die diesen Strom verbraten, nur um ihre Smartphones zu laden.
Der Energieaspekt ist im übrigen auch der Grund dafür, dass die Betten dort nicht jeden Tag gereinigt werden. Deshalb ist ein Hüttenschlafsack Pflicht. Um nicht schwere Frottierhandtücher mitzunehmen, haben wir uns mit leichten Mikrofaser-Handtüchern ausgestattet.
Am Ende brachten es unsere Rucksäcke auf 12 und 14 kg. Beim ersten Packen waren es noch knapp 18 kg gewesen.
Hüttenbuchung und Bergführer
Bei Hüttenübernachtungen ist es in Regel so, dass du bekommst, was verfügbar ist. Und das bedeutet, dass du mit mehreren Menschen nicht nur in einem Raum, sondern in manchen Fällen auch direkt nebeneinander auf Matratzen liegst. Darauf haben wir uns eingestellt und warum umso überraschter, dass wir in einem Fall eine eigene Nische und einmal sogar ein eigenes Doppelzimmer angeboten bekamen. Das ist nicht selbstverständlich.
Als Mitglieder des DAV haben wir neben den vergünstigten Übernachtungen mit Frühstück das ebenfalls günstige Bergsteigeressen buchen können. Das Essen ist im übrigen gut, aber vor allem zweckmäßig. Man sitzt nicht in einem Bergrestaurant, sondern auf einer Hütte, in der es vor allem darum geht, nach einem anstrengenden Tag die verbrauchte Energie wiederzubekommen und am nächsten Morgen gekräftigt wieder loszuziehen.
Die Buchung eines Bergführers ist übrigens der spannendste Teil. Die meisten Büros hatten für den entsprechenden Tag niemanden mehr verfügbar und aus logistischen Gründen steigen die meisten Bergführer dieselbe Route ab wie auf Es gibt also zahlreiche Angebote von der Neuen Prager Hütte zum Großvenediger und zurück zur Neuen Prager Hütte, aber nur sehr selten über den Großvenediger zum Defreggerhaus. Da auch die Bergführer anreisen müssen und in der Regel auf der Seite parken, von wo aus sie aufsteigen, ist das auch nachvollziehbar. Eine Alternative Lösung wäre gewesen, mit der Gruppe eines Bergführers aufzusteigen und mit der Gruppe eines anderen Bergführers, wieder abzusteigen. Dazu hätten sich die beiden Gruppen am Gipfel verabreden müssen. Nicht unmöglich, aber für alle Beteiligten organisatorischer Aufwand. Hätten wir keine Lösung gefunden, dann hätten wir die letzten beiden Tagesetappen nicht machen können. Es gibt keinen anderen Weg von der Neuen Prager Hütte zum Defreggerhaus als über den Gletscher.
Also hing am Ende alles daran, ob wir einen Bergführer finden würden, der die Überschreitung mit uns macht oder nicht. Wir fanden einen.
Bergführer werden nicht pro Person bezahlt, sondern für die Tour. Zwar erhöht sich der Gesamtpreis ein wenig je mehr Personen teilnehmen, allerdings wird der Preis pro Kopf geringer. Deshalb haben wir in Facebookgruppen nach Menschen gesucht, die an einer Venedigerüberschreitung interessiert sind, und sind fündig geworden - ein Pärchen aus Wien und ein Typ aus dem Ruhrgebiet.
Und so verabredeten wir uns für den Vorabend der Überschreitung auf der Neuen Prager Hütte.
Warten, dass es losgeht
Im Februar 2019 hatten wir alles Organisatorische rund um die Hüttentour abgeschlossen. Um bis zum Start Ende August aber nicht nur rumzusitzen, haben wir die Zeit genutzt und haben häufiger die Klettersteige der DAV Sektion Duisburg im Landschaftspark Nord besucht, haben längere Wanderungen teilweise mit voll beladenen Rucksäcken unternommen und uns fit gehalten.
Das mag vielleicht ein wenig übertrieben wirken, weil wir hier schließlich nicht von einer Himalaya-Expedition sprechen. Allerdings kann es nie schaden, im Gebirge stabil auf den eigenen Beinen zu stehen - zumal mit über 10 kg auf den Schultern. Und es lohnt sich, bestimmte Szenarien einfach mal zu testen, damit es nachher in unwegsamem Gelände nicht zu unangenehmen Premieren kommt. Es ist ein Unterschied, ob man nur mit seinem eigenen Gewicht irgendwo hochsteigt oder mit zusätzlichem Gewicht an einer ungewohnten Stelle.
Startschuss
Am 2. September 2019 sind wir schließlich vollbepackt von der Pension, in der wir eine Nacht verbracht hatten, runter ins Dorf zur Bushaltestelle gestapft. Nicht bevor wir der Gastwirtin die geplante Route genannt und unsere Familien darüber informiert hatten, dass es jetzt losgehen würde. Das Auto haben wir freundlicherweise an der Pension stehenlassen dürfen. In einer Woche würden wir wieder hier ankommen.
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