Ströden über Essener-Rostocker-Hütte und Türmljoch zur Johannishütte
Es ist 7 Uhr, als der Wecker klingelt und wir topmotiviert aus dem Bett springen. Die Sonne strahlt, das Frühstück duftet im gesamten Haus. Es kann losgehen.
Von diesen Sätzen entsprechen genau zwei der Wahrheit: Der Wecker, er klingelt tatsächlich. Und es ist auch wirklich 7 Uhr. Aber wir sind weder topmotiviert noch scheint die Sonne oder es duftet nach Frühstück. Wir freuen uns natürlich auf das, was vor uns liegt. Ein Abenteuer. Mal was Neues. Sieben Tage unterwegs in den Bergen. Das sind eigentlich Dinge, für die es sich aufzustehen lohnt.
Aber man muss eben aufstehen.
Um 7 Uhr.
Nach zehn Minuten Zeitschinderei sehen wir ein, dass a) wir selbst Schuld sind, b) mit einer gewissen Müdigkeit zu rechnen war und c) der Bus nur jede Stunde einmal fährt. Außerdem haben wir Urlaub. Kurz fragen wir uns, ob auch andere Menschen in ihrem Urlaub um 7 Uhr aufstehen, aber rufen uns Punkt a) wieder ins Gedächtnis.
Das hilft.
Wir checken den Wetterbericht für den heutigen Tag. Es soll bewölkt sein und Regen ist angekündigt. Wir schauen aus dem Fenster. Wir hätten es nicht besser vorhersagen können, denn es ist bewölkt und sieht aus, als würde es bald anfangen zu regnen.
Nachdem wir unsere Trinkflaschen mit Wasser aufgefüllt und betimmt irgendwas gefrühstückt haben, ziehen wir uns an, schnallen uns die beiden 14 und 12 kg schweren Rucksäcke auf den Rücken und verlassen das Zimmer. Die Gastwirtin informieren wir über unsere Route, damit im Notfall jemand weiß, wo wir unterwegs waren. Dann verabschieden wir uns von der Hofkatze, die vor dem Eingang auf einer Bank sitzt und laufen runter ins Dorf zur Bushaltestelle. Es ist irgendwas zwischen nicht kalt und frisch, aber unten angekommen sind wir auf Betriebstemperatur. Dort warten wir auf den Bus, der uns zum letzten Parkplatz des Tals in Ströden bringen soll.
Dort steigen wir aus. Mit uns noch ein paar vereinzelte Menschen, die aber schnell verschwunden sind. Und wir gehen los.
Entlang von Almwiesen und dem rauschenden Maurerbach folgen wir einem Fahrweg, der recht bald zu einem breiten Kiesweg und schließlich einem schmalen Steig wird. Kurz zuvor aber werden wir urplötzlich von einer wilden Bestie angegriffen, die sich dann aber als Pferd entpuppt und lediglich gestreichelt werden möchte. Wir überleben knapp und gehen weiter, während die sichtlich enttäuschte Bestie hinter uns immer kleiner wird.
Weil wir mittlerweile eine erste Steilstufe emporsteigen, fühlt sich das "nicht kalt" eher wie "ziemlich warm" an. Die hohe Luftfeuchtigkeit trägt ihren Teil dazu bei.
Kurze Zeit später lassen wir den Wald hinter uns und sehen das erste mal in der Ferne die Gletscher der Maurerkeesköpfe, die gemeinsam mit anderen Gletschern den Maurerbach speisen. Nur im oberen Bereich rund um die Gipfel sind sie noch schneebedeckt.
Als wir das erste Steilstück überwunden haben, verschlechtert sich das Wetter und wir ziehen uns sicherheitshalber die Regensachen an. Unsere Rucksäcke bekommen ebenfalls einen Regenschutz übergezogen. Das wird später noch mal wichtig sein.
Nachdem der Maurerbach sich etwas verbreitert, halten wir uns links und steigen schließlich die letzte steile Passage zur Essener-Rockstocker-Hütte hoch, die wir von unten schon sehr gut sehen konnten. Rechts von uns rauscht der Maurerbach durch felsiges Gelände. Wo der Fels blankliegt, lässt sich sehr gut erkennen, dass hier mal ein Gletscher den Boden glattgeschliffen haben muss, bevor er sich rund 500 m bergauf zurückgezogen hat.
Wir erreichen bei mittlerweile ordentlichem Regen die Essener-Rostocker-Hütte. Drinnen wärmen wir uns etwas auf und trinken Almdudler und Skiwasser. Es ist wenig los und die Atmosphäre entspricht dem Wetter draußen. Uns stört es nicht weiter und nachdem wir einsehen müssen, dass der Regen nicht aufhören wird, werfen wir uns wieder in Montur und verlassen die Hütte. Dort werfen wir einen kurzen Blick auf das oberhalb des Simonysees liegende Simonykees, das man von der Hütte aus sehen kann, und gehen weiter.
Als wir die Tour geplant haben, haben wir optionale Abstecher zu sehenswerten Punkten eingeplant. Der Simonysee wäre eine Option gewesen, allerdings entscheiden wir uns aufgrund des Wetters und der noch vor uns liegenden Route dagegen. Und das ist die richtige Entscheidung, denn immer mehr Wolken ziehen vom Virgental das Maurertal hoch und bringen noch mehr Regen.
Wir folgen dem Weg weiter, bis wir schließlich ebenes Gelände erreichen, dem Maurerbach noch ein kleines Stück bergauf folgen, ihn dann nach rechts queren und nun dem Schweriner Weg folgend zum Türmljoch aufsteigen. Weil durch die Wolken und den Regen weder Türml noch Joch zu erkennen sind, wir stattdessen aber einige auf den ersten Blick unpassierbare Stellen am Hang entdecken, von denen wir hoffen, dass wir nicht durch sie hindurch müssen, sind wir einigermaßen vorsichtig beim Weg nach oben.
Glücklicherweise verläuft der Weg oberhalb der unpassierbaren Stellen. An dieser Stelle vielen Dank an die Wegwarte des Virgentals. Denn trotz der leichten emotionalen Abnutzungen unserer Nervenkostüme durch den sich wirklich penetrant haltenden Regen sind die Wege super zu gehen. Es sollte natürlich niemals ausschlaggebend für die Qualität eines Weges sein, wie gut man ihn für Touristen anlegt, aber die Arbeit verdient Respekt.
Etwa 4,5 Stunden nachdem wir in Ströden losgegangen sind, erreichen wir das Türmljoch und den mit 2.770 m höchsten Punkt unserer ersten Tagesetappe. Auch hier hatten wir als Option die Begehung des Türml-Klettersteigs vorgesehen. Weil es aber noch immer regnet und beim Gedanken an den Physikunterricht in Bezug auf Eisen und dessen Leitfähigkeit irgendwas klingelt, sehen wir davon ab.
Das Wetter nach dem Übergang ins Dorfertal ist schlagartig unverändert. Soll heißen: Es regnet noch immer. Die monotone Belastung beim Abstieg geht auf Dauer ein wenig auf die Kniegelenke, aber eindreiviertel Stunden später erreichen wir schließlich die Johannishütte. Den Großvenediger weiter hinten im Tal können wir kaum erkennen. Wir lassen uns unser Nachtlager zeigen und freuen uns, dass die Matratzen paarweise mit kleinen Zwischenwänden voneinander getrennt sind. Sich nachts versehentlich auf unbekannte Personen zu rollen, ist also quasi unmöglich ohne erheblichen Aufwand. Und wenn, dann kann kaum noch die Rede von einem Versehen sein, weil die Zwischenwände 50 cm hoch sind. Da rollt man nicht einfach mal so drüber.
Wir richten uns im Rahmen der Möglichkeiten ein, hängen die nassen Klamotten zum Trocknen auf und ziehen uns die Hüttenklamotten an.
So, erinnert ihr euch noch an die Stelle, als es anfing zu regnen und wir die Rucksäcke in die Schutzhüllen gepackt haben? Die haben tatsächlich dichtgehalten. Es gibt aber einen klugen Spruch aus dem Film "Jurassic Park". Dort heißt es "Das Leben findet einen Weg."
Das gleiche gilt ganz offensichtlich für Wasser, das sich ganz gewitzt einen Weg zwischen Rücken und Rucksack gesucht hat, um dann fröhlich dort in den unteren Bereich des Rucksacks zu laufen, wo er wieder am Rücken aufliegt.
Dreimal dürft ihr raten, wo wir die Klamotten für die Hütte verstaut hatten.
Wir ziehen also an, was uns blieb, und schlurfen irgendwann nicht annähernd so vorzeigbar, wie es angebracht wäre, in die Gaststube. Glücklicherweise ist es anderen genau wie uns ergangen und wir fallen kaum auf.
Wir bekommen eine heiße Suppe und etwas Brot, trinken ein Radler, kippen zum Aufwärmen noch einen Schnaps hinterher, der noch heute im Magen brennt, schlüpfen gegen 21 Uhr in unsere Hüttenschlafsäcke, vergraben uns unter den warmen Decken des Alpenvereins und sind vermutlich so gegen 21:01 Uhr eingeschlafen.
Morgen geht's weiter. Wir freuen uns drauf.
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